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«Ich will, dass Ihr in Panik geratet»

An der Klimafrage beginnen sich Generationenbeziehungen politisch zu manifestieren. Und das ist gut so.

 

63 Milliarden Franken werden gemäss einer privaten Forschungsstudie (Büro BASS, 2015) jährlich in der Schweiz vererbt. Zum Vergleich: Das sind etwa 10 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts oder fast so viel, wie die Eidgenossenschaft jährlich einnimmt. Der Durchschnitt einer Erbschaft beträgt 1 Million Franken. Die abtretenden Generationen lassen also den nachrückenden ein rechtes Finanzpolster zurück, auch wenn in der obligatorischen Altersvorsorge eine Umverteilung von jung zu alt stattfindet. Nur: Ein Drittel der Erbschaften liegen zwischen 0-50’000 Franken. Die Hälfte der Erbschaften liegt unter 170’000. Und nur knapp jede fünfte Erbschaft beträgt mehr als 1 Million. Woher kommt das? 2 Prozent der Schweizer Haushalte besitzen ungefähr 50 Prozent, 10% besitzen 75% der Vermögenswerte. Diese Ungleichheit schlägt sich dann auch in den Nachlässen nieder.

 

Die ungleiche Verteilung von vererbten Gütern von Generation zu Generation im familiären Kontext spielt nicht nur bei der Weitergabe von ökonomischem Kapital, sondern auch von sozialem Kapital (gesellschaftlicher Status) und kulturellem Kapital (Bildung) eine Rolle. Will man das ändern, so muss die Weitergabe von Gütern nicht nur entlang der Blutsbande, sondern darüber hinaus erfolgen. Davon zeugen beispielsweise die Gründungen von gemeinnützigen Stiftungen in der Schweiz. Mehr als 13’000 sind es inzwischen, bei denen privates Kapital von fast 100 Milliarden Franken für Zwecke mit gesellschaftlichem Nutzen bereitgestellt wird. Davon legen aber auch all die Projekte Zeugnis ab, bei denen ältere Generationen den jüngeren ihre Kompetenz und Erfahrung zur Verfügung stellen, wie das zum Beispiel beim Beraternetzwerk Innovage geschieht. Viele weitere beeindruckende Beispiele finden sich im Internet auf der Plattform Intergeneration.

 

Spätestens seit den medialen Auftritten von Greta Thunberg jedoch („Ich will, dass ihr in Panik geratet“) hat die Welt zur Kenntnis genommen, dass die Generationenbeziehungen von einem neuen Aspekt betroffen sind: Welchen Zustand der Welt geben die Alten den Jungen weiter? Tausende von Schülern und jungen Familien fordern an Klimademos ein Umdenken ein, nein mehr: eine radikale Verhaltensänderung zur Verhinderung einer handgemachten Klimakatastrophe. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Da gehen einerseits Grosseltern mit ihren Enkeln solidarisch auf die Strasse, andrerseits unterstellen manche Vertreter der älteren Generation den vermeintlich ideologisch instrumentalisierten Jungen eine Klimahysterie.

 

Interessant ist, dass die Verteilungsdebatten um die obligatorische Altersvorsorge die jüngeren Generationen nicht wirklich über Parteigrenzen hinweg zu mobilisieren vermögen. Noch weniger die ungleiche Verteilung der privaten Finanztransfers via Erbschaften. Vielleicht verhalten sich jüngere Menschen eher anpassungsfähig, wenn es um die Vorstellung der eigenen materiellen Zukunftssicherheit geht. Aber jüngere Menschen werden aktiv und appellieren provokativ an Entscheidungsträger und Erwachsene, wenn es um die Rettung der künftigen Lebensgrundlagen auf unserem Globus geht.

 

Hier beginnen sich Generationenbeziehungen politisch zu manifestieren. Das ist gut so. Die Diskussionen müssen öffentlich geführt werden. Die Verantwortung der älteren Generationen für die Zukunft der Welt ist geschichtlich gesehen eine neue Aufgabe, dieder Philosoph Hans Jonas 1979 in seinem ethischen Hauptwerk «Das Prinzip Verantwortung» folgendermassen beschrieben hat: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Das ist eine Aufgabe mit persönlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Für Junge wie für Alte.

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