StartseiteMagazinKolumnenDas fehlende europäische Narrativ

Das fehlende europäische Narrativ

Statt dieses Narrativ zu erzählen, wird immer häufiger gesagt, es gebe keines.

 

Seit Jahren ist der Begriff „Narrativ“ in aller Munde. Er stammt vom lateinischen „narrare“ und heisst so viel wie erzählen; eine Geschichte, wenn möglich eine sinnstiftende. Es wird etwa behauptet, Europa oder dem Europa der EU fehle ein Narrativ, das das Volk anspreche und überzeuge. Genauer betrachtet, könnte über Europa eine wunderbare Erzählung geschrieben und in einem Narrativ zusammengefasst werden. Die Amerikaner spotten über das alte Europa und verschweigen, dass es Europäer waren, die Amerika entdeckt und gross gemacht haben. Europa als Vielvölkerkontinent bildet aber nach wie vor eine grossartige Weltzone. Es gibt keine andere, über die eine so dynamische Kulturgeschichte erzählt werden kann. Hier hat sich der „Weltgeist“ zuallererst in die Zukunft aufgemacht. Darum ist es schade, dass viele, vor allem auch Junge, sich dieser Geschichte verweigern. Es gibt in kaum einem anderen Kontinent eine so grossartige, vielgestaltige Landesganzheit mit reicher Kultur und vielen Hochsprachen. Dass sich dieses Europa in der Dynamik der grossen globalen Welt zusammenschliessen musste und muss, ist nur natürlich. Es braucht einen Rahmen, innerhalb dessen die Europäer Schutz vor feindlichen, neidischen Mächten finden und in ihm frei leben können.

 

Wer kann dieses Europa zusammenhalten? Etwa Italien oder Ungarn oder gar die kleine Schweiz? Es ist absehbar, dass dieses Europa des Westens an den Rand gedrückt wird und erstickt. Wo gibt es nicht überall tyrannische Kräfte, die Europa gerne klein machen würden? Können sich einzelne europäische Staaten wehren, wenn sie sich im nationalen Egoismus üben? Unvermeidlich wird der Moment kommen, wo erkennbar werden wird, wo die grossen Handelsrouten durchgehen werden.

 

Noch immer halten wir auch in unserem Land das Narrativ von Tell und Winkelried hoch. Man könnte meinen, diese Mythen würden vor allen anderen bestehen. Es sind sicher herrliche Geschichten, durch die jeder schon in der Primarschule imprägniert wurde. Ich möchte sie nicht missen, zugleich weiss ich, dass es keinen Winkelried mehr gibt, der sich in die Speermauer der Gegner wirft und ruft: „Ich will euch eine Gasse bauen. Sorgt für mein Weib und meine Kinder!“ Sogar in der Schweiz, die nach Meinung vieler Politiker das schönstmögliche Narrativ vorzuweisen hat, nimmt die Solidarität ab.

 

Das Narrativ müsste Geschichten enthalten, die von jenem Frieden erzählen, der nach dem zweiten Weltkrieg und nach dem Zerfall der Sowjetunion zur grossen europäischen Idee wurde. Als kulturelle Spitzenleistung realisierte Europa den Rechtsstaat, in den  einbettet jeder Bürger frei leben kann. Der Rechtsstaat ist der ständige Versuch, die Willkür herrschender Schichten zu unterbinden. Wo sind denn die Ideen der umfassenden Institutionen wie der UNO und dem Menschenrechtshof entstanden? Schon der Philosoph Immanuel Kant hat im 18. Jahrhundert die Idee des „Ewigen Frieden“ in einem kleinen Werk begründet und zugleich ausgeführt, wie dieser institutionell gesichert werden könnte. Wo ist die Idee der Toleranz entstanden? In England, wo sich über Jahrhunderte die christlichen Konfessionen gegenseitig zerfleischten, bis sie erkannten, dass der Krieg keine wahren Sieger hervorbringt. Wäre diese Idee nicht auch ein Möglichkeit zur Rettung der arabischen Staaten.

 

Zahlreiche Narrative könnten durchgespielt werden. Etwa das Narrativ des friedlichen Zusammenlebens zahlreicher sprachlich getrennter Staaten und Minderheiten.  Diese Sprachenvielfalt ist oft ein Hindernis für das gegenseitige Verstehen, aber auch eine unwahrscheinlich wichtige Quelle von schöpferischen Ideen, wie sie bei Schriftstellern, Musikern, Malern Ausdruck findet und gefunden hat. Auch die technische Entwicklung hatte ihren Ursprung in Europa. Europa ist kein Einheitsbrei, aber es droht einer zu werden, wenn wir nicht bereit sind, auf unsere Geschichte zu schauen und jene nationalistischen Narrative abzulehnen, die einst Europa gespalten haben.

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